Polen: Wie die linke Regierung die Präsidentschaftswahl rückgängig machen will

Seit drei Wochen versucht die polnische Linksregierung, den Sieg des designierten Präsidenten Karol Nawrocki für nichtig zu erklären. Premierminister Donald Tusk fordert die Überprüfung der Ergebnisse der Stichwahl am 1. Juni. Eine Neuauszählung der Stimmen gilt jedoch als unwahrscheinlich.

picture alliance / Sipa USA | Jaap Arriens

Für deutsche Leser müssen die folgenden Zeilen wie ein Déjà-vu-Erlebnis wirken: Vor fünf Jahren forderte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die mit den Stimmen der AfD erreichte Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen „rückgängig“ gemacht werden müsse. Zwei Jahre später entschied das Bundesverfassungsgericht: Dieses Vorgehen war unrechtmäßig. An einer wirklichen Aufarbeitung dieser undemokratischen Intervention besteht in der Bundesrepublik Deutschland bis heute kein Interesse. In Polen dürfen wir uns seit Wochen ein ähnliches Spektakel anschauen, jedoch hoffentlich mit einem glücklicheren Ende als in Erfurt.

Nach dem Sieg des von der konservativen Opposition unterstützten Karol Nawrocki gingen beim Obersten Gericht (SN) zahlreiche Wahleinsprüche ein. Derweil sollen es mehr als 50.000 sein, so die Vorsitzende des Gerichts Małgorzata Manowska. Die mit der Bürgerplattform des Regierungschefs Donald Tusk sympathisierenden Protestierenden meinen, bei der Auszählung der Stimmen in den Wahlkommissionen sei es zu „Unregelmäßigkeiten“ gekommen. Den Protesten folgte im konservativen Lager eine Welle der Empörung. Jarosław Kaczyński bezeichnete Tusk und dessen Vize Trzaskowski als „schlechte Verlierer“. „Wir werden nicht zulassen, dass man uns den Wahlsieg stiehlt“, sagte der PiS-Vorsitzende.

Nawrocki hatte die Wahl im zweiten Wahlgang mit einem Vorsprung von beinahe 400.000 Stimmen gewonnen. Es war der zweithöchste Sieg bei Präsidentschaftswahlen in Polen nach 1989. „Wer an solch gigantische Unregelmäßigkeiten glaubt, dem ist nicht mehr zu helfen“, versichert der Sejm-Abgeordnete Marek Jakubiak. Und was sagt der designierte Staatspräsident? „Ich werde nicht zulassen, dass Polen seiner Demokratie beraubt wird. Diese absurden und hysterischen Reaktionen tun ihr allerdings nicht gut“, sagte Karol Nawrocki. Ähnlicher Meinung ist der scheidende Präsident Andrzej Duda.

Regierungstreue Schoßhunde

Inzwischen raten sogar Mitglieder der linken Regierung von einer Neuauszählung der Stimmen ab. Die stellvertretende Erziehungsministerin Joanna Mucha, einstmals eine einflussreiche Vertraute Tusks, hat bereits verlauten lassen, dass sie das Kabinett verlasse. Sie verwies auf „wiederholte Fehler“, die der PO-Chef nach jeder Niederlage beginge, sowie das Fehlen einer „strategischen Analyse“. Dieselbe Meinung vertritt der Sejm-Marschall und zweite Mann im Staat Szymon Hołownia. Donald Tusk selbst spricht zwar nicht von einer „Wahlfälschung“, widerspricht jedoch auch nicht seinen energiegeladenen „Schoßhunden“ wie Sławomir Nitras oder Roman Giertych, die seit Wochen die PiS laut anbellen und der Begehung von „Unregelmäßigkeiten“ bei der Präsidentschaftswahl bezichtigen.

Vor allem Giertych ist ein eigenartiges Phänomen: Einst von den Linken als „Antisemit“ und „Rechtsradikaler“ verschrien, spielt er heute freiwillig in ihrem Orchester. Weil Tusk und andere führende Politiker der Bürgerplattform zu den erdachten Vorwürfen der „Wahlfälschung“ schwiegen, ergriff der ehemalige LPR-Vorsitzende und Chef der Allpolnischen Jugend die Initiative. Giertych, der den Ministerpräsidenten mittlerweile liebevoll mit „Donaldzie“ anspricht, stellte ein Formular ins Netz, das jene Bürger, die Einspruch einlegen wollten, lediglich auszufüllen brauchten. „Der Sieg Nawrockis beruht auf einem Wahlbetrug“, wiederholt der Jurist, trotz aller Rückzugsaufforderungen aus den eigenen Reihen.

Zudem wurde Giertych zuletzt zum Hauptdarsteller eines erneuten Abhörskandals. Er soll vor den Parlamentswahlen 2019 unter seinem eigenen Namen Unterschriften gesammelt haben, die eigentlich für den Wahlkampf eines anderen Spitzenkandidaten, Stanisław Gawkowski, bestimmt waren, was eindeutig als illegal einzustufen wäre. „Roman Giertych ist wirklich der letzte, der anderen Politikern Fälschungen vorwerfen sollte“, meint der PiS-Abgeordnete Dariusz Matecki.

Übrigens ist Tusk dieweil weniger zurückhaltend als vor zwei Wochen. Zu einem „lauten Disput“ sei es in der vergangenen Woche zwischen ihm und dem amtierenden Staatspräsidenten Andrzej Duda bei der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats gekommen. „Herr Tusk und seine Kollegen können sich mit der Niederlage nicht abfinden. Ich kenne das Wahlergebnis, die staatliche Wahlkommission hat es längst veröffentlicht“, schrieb Duda in den sozialen Medien.

Wie dem auch sei: Das Oberste Gericht hat bis zum 2. Juli Zeit, um die Wahleinsprüche zu prüfen. Dreißig Tage nach der Präsidentschaftswahl müssen die Richter ihr Urteil über die Gültigkeit des Urnengangs verkünden. Doch selbst Szymon Hołownia glaubt, dass er am 6. August die Nationalversammlung einberufen wird, damit Karol Nawrocki den Eid ablegen könne.

Absurde Verschwörungstheorien

Bis dahin werden Tusk und Trzaskowski tolerieren, was Giertych in die Welt setzte: Eine absurde Verschwörungstheorie über eine „Armee“ versteckter PiS-Mitglieder, die sich als Vertreter von Wahlkomitees ausgaben, heimlich geschult und von der Parteizentrale in der Nowogrodzka-Strasse aus geleitet. Eine Horde „verdeckter Agenten“ also, die ihren „normalen“ Kollegen in den Wahllokalen Abführmittel in den Kaffee mischten, um in deren Abwesenheit gemäß detaillierter „Geheimanweisungen“ die Protokolle zum Nachteil von Rafał Trzaskowski zu fälschen. Diese Version des Wahlverlaufs wird selbstredend von jenen Wählern, die nach etwas Erleichterung von ihrer Frustration lechzen, begierig aufgegriffen. In ähnlicher Weise etwa, wie die kurz vor der Stichwahl willkürlich in die Medien eingestreuten Epitheta „Bandit“ und „Zuhälter“, mit denen Karol Nawrocki bedacht wurde.

Eines steht jedenfalls fest: Roman Giertychs Wandel vom „Rechtsextremen“ zum von Warschauer Eliten hofierten „Linksliberalen“, sowie dessen rasanter Aufstieg innerhalb der Bürgerplattform ist zugleich ein Beweis für deren Niedergang. Die 2014 eher ironisch als prophetisch gemeinte Aussage einer Journalistin, die PO könne auch nach Donald Tusks Rückkehr von Brüssel nach Warschau nichts Positives mehr bewirken, ereignet sich nun vor unseren Augen.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 11 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

11 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
woderm
1 Tag her

Von „gigantische Unregelmäßigkeiten“ würde ich ausgehen, wenn die Tusk-Trzaskowski-Truppe die Wahlen gewonnen hätte.

H. Priess
1 Tag her

Es wird langsam Zeit, daß Wahlen überhaupt abgeschafft werden. Alles dann nach dem Muster wie in Brüssel, Kommissare werden in den Ländern eingesetzt die von den nicht gewählten Kommisaren in Brüssel bestimmt werden. Die Gesetzgebung der einzelnen Länder werden widerum von diesen Kommissaren bestimmt während die Parlamente in den einzelnen Ländern völlig machtlos sind und nur Demokratie simulieren wie in Brüssel. Ich würde wetten, daß solche Pläne sogar schon in der Schublade von v.d. Leien und den anderen Verbrechern liegen. Die Vorteile liegen auf der Hand. Völlige Ausschaltung jeglicher Opposition, völlige Gleichschaltung der Öffentlichkeit und natürlich die völlige Kontrolle der… Mehr

BKF
1 Tag her

Insgesamt etwas gemäßigter in der Umsetzung (zumindest noch), aber vom Grundprinzip erinnert das schon sehr an die Farbenrevolutionen und wer hinter diesen stand, ist ja wohl inzwischen allseits bekannt.

Melly
1 Tag her

Nur weiter so, der sogenannte Ostblock wird sich abtrennen, wenn die Brüssel Bande nicht aufhört den  Menschen wieder die Freiheit zu rauben. Der deutsche Osten macht mit….

Sonny
1 Tag her

Wenn man sich in Europa so umschaut, könnte man tatsächlich auf den Gedanken kommen, dass die Souveränität der Länder aufgehoben werden soll zugunsten einer linksgrünen, europäischen Gesamt-Diktatur. Wie groß sind eigentlich die Grabenkämpfe innerhalb der EU-Administration?
Nachtigall, ick hör dir trapsen.
Der einzige, der anscheinend die Gefahr schon lange erkannt hat, ist wohl Viktor Orban.

Last edited 1 Tag her by Sonny
SB
1 Tag her
Antworten an  Sonny

Das erklärte Endziel der EU sind die „Vereinigten Staaten von Europa“, welches nur mittels ethnisch-kultureller (Massenmigrations-Influx) und wirtschaftlicher Nivellierung (Euro) aller europäischen Mitgliedsstaaten zu erreichen ist. Hätten unsere Entscheidungsträger eigentlich schon vor Jahrzehnten erkennen müssen.

Anglesachse
1 Tag her
Antworten an  SB

Bei Ihrer zitierten „Massenmigration“ fällt mir eine kleine Randbemerkung zu unserer „woken“ Gesellschaft ein:
Unsere BRD besteht nämlich seit 60 Jahren nicht nur aus „Meiers, Schmidt u. Müllers“ (die Kartoffeldeutschen), sondern auch aus Jankowskys, Izdemirs, Dabiba, Janoflakis, Bandeleros und Pertrullis, alles Nachkkommen unserer damaligen Gastarbeiter und ebenfalls inzwischen deutsche Einheimische!
Wenn also der Wokismus diese Landsleute als „Migrationswurzeln“ betitelt, ist es latenter (ausgrenzender) Rassismus….
mal darüber nachdenken, was hier wirklich passiert….

Last edited 1 Tag her by Anglesachse
BKF
1 Tag her
Antworten an  SB

Das erklärte Endziel der EU sind die „Vereinigten Staaten von Europa““ Das Ziel hatte das Auswärtige Amt des Reiches auch schon einmal in einer Denkschrift über die Schaffung eines „Europäischen Staatenbundes“ im September 1943 geäußert.Vielleicht hat die Kommission unter von der Leyen geborene Albrecht das Dokument jetzt wiedergefunden.

Manfred_Hbg
2 Tage her

Egal wohin man selbst auch in der gesamten EU blickt, die Linken unterscheiden sich nirgends und sind überall die gleichen schlechten Verlierer und dauerhaften Nörgler und Jammerlappen. Einfach nur noch peinlich, diese Bagage.
Man stelle sich nur mal vor, dass wenn die Konservativen und Rechten, die nun ja wirklich oft auch benachteiligt und betrogen werden, wenn die dann genauso Jammern und alles anfechten und wiedersprechen würden was von den Linken und Grünen kommt. Dann würden Tag für Tag nur noch die Konservativen und Rechten jammernd und klagend zu hören sein und sie kämen zu nix anderem mehr.

Andres
2 Tage her

„…bei der Auszählung der Stimmen in den Wahlkommissionen sei es zu „Unregelmäßigkeiten“ gekommen.“
Das kann gut sein. Allerdings hat es ja trotzdem nicht für einen Sieg des Woken Trzaskowski gereicht.

Haba Orwell
2 Tage her

> gingen beim Obersten Gericht (SN) zahlreiche Wahleinsprüche ein. Derweil sollen es mehr als 50.000 sein, so die Vorsitzende des Gerichts Małgorzata Manowska.

Laut TV Republika die allermeisten nach einer Vorlage des Politikers Giertych – es ist eine orchestrierte linksliberale Aktion. Mittlerweile liegen die Wahlzettel seit Wochen in Rathäusern gelagert, oft der PO-regierten Städte – genügend Zeit, die Stimmen zu „optimieren“.