Auf der Prioritätenliste ganz unten: Gesundheitspolitik versinkt in Bedeutungslosigkeit

Für die Bürger ist Gesundheit wichtig, für die Politik nicht: Im ersten Teil seiner Überlegungen zur politischen Verortung des Gesundheitssystems zeigt Lothar Krimmel, wie stiefmütterlich der Koalitionsvertrag und die neue Regierung das Gesundheitsressort behandeln. Eine fatale Weichenstellung.

picture alliance / NurPhoto | Christian Marquardt

Die Ernennung war eine Überraschung: Die Juristin Nina Warken, die neue Bundesministerin für Gesundheit, ist bisher gesundheitspolitisch nicht in Erscheinung getreten. Das muss nicht unbedingt ein schlechtes Vorzeichen sein. Von den Gesundheitsministern der letzten Jahre waren die „Ärzte“ Karl Lauterbach (SPD) und Philipp Rösler (FDP) veritable Totalausfälle. Und der gesundheitspolitisch erfahrene Jens Spahn (CDU) war vor allem bei Corona auf völlig falschem Kurs unterwegs.

Ausgerechnet der bislang einzige gesundheitspolitische Newcomer der letzten Jahrzehnte, Hermann Gröhe, machte seine Sache von 2013 bis 2018 einigermaßen passabel. Dass er seinerzeit nur Gesundheitsminister wurde und als CDU-Generalsekretär keinen prestigeträchtigeren Ministerposten bekam, lag an der berühmten Szene auf der CDU-Wahlparty 2013, als Angela Merkel ihm wie einem dummen Schuljungen kopfschüttelnd das Deutschlandfähnchen entriss. Derart patriotischer Übermut wurde gnadenlos mit der Strafversetzung ins Gesundheitsministerium geahndet.

Gesundheitsministerium als Verfügungsmasse auf Ramschniveau

Dass die Gesundheit zwar den Bürgern wichtig ist, inzwischen aber nicht mehr der Politik, zeigte sich bereits bei der Besetzung der Arbeitsgruppen für die Koalitionsverhandlungen. So wurde die SPD-Delegation im Gesundheitsbereich erneut durch die weithin unbekannte Regionalpolitikerin Katja Pähle aus Sachsen-Anhalt angeführt. Entsprechend perspektivlos und nichtssagend ist der Koalitionsvertrag gerade bei den so bedeutsamen Themen Gesundheit und Pflege ausgefallen.

Der zunehmende Bedeutungsverlust der Gesundheitspolitik in der Billionen-Agenda des Kriegskanzlers Merz lässt sich auch am Verschachern des Gesundheitsministeriums bei der Zusammenstellung des Kabinetts ablesen. Lauterbach wäre der einzige SPD-Kandidat gewesen, da vor allem in der Fraktion angesehene SPD-Kandidatinnen wie Bärbel Bas nicht die geringste Lust verspürten, ein Ministerium unter ständiger Talkshow-Begleitung durch den Parteikollegen und Ex-Minister Lauterbach zu führen.

Das machte es Lars Klingbeil leicht, das Gesundheitsministerium aufzugeben und als Kompensation seinen Anspruch auf das prestigeträchtige Arbeitsministerium durchzusetzen, da er dort unbedingt den smarten Carsten Linnemann verhindern wollte. Merz wiederum musste dann auf Regional- und Geschlechter-Proporz Rücksicht nehmen, sodass eine Frau aus Baden-Württemberg gesucht wurde, wo im nächsten Jahr Landtagswahlen stattfinden. So schlüpfte schließlich die gesundheitspolitisch vollkommen unbefleckte Nina Warken aus dem Überraschungs-Ei Gesundheitsministerium.

Gesundheitspolitik ist unter Merz in die 3. Liga abgestiegen

Der Abstieg der Gesundheitspolitik in die 3. Liga lässt sich auch direkt aus dem Organisationserlass des Bundeskanzlers ablesen. Denn während sich das Gesundheitsministerium noch in den Kabinetten Merkel IV und Scholz protokollarisch auf Rang 10 der Kabinettsliste behaupten konnte, ist es nunmehr in der offiziellen Bedeutungshierarchie auf den 13. Platz abgerutscht und damit komplett im Bereich „Sonstiges und Gedöns“ untergegangen.

Das alles kontrastiert nicht nur mit der erheblichen Bedeutung, die den Themen Gesundheit und Pflege von den Bürgern beigemessen wird, sondern auch mit den bereits heute enormen und in der Zukunft noch absehbar zunehmenden Herausforderungen in beiden Bereichen.

Und auch der Koalitionsvertrag von Union und SPD offenbart keinerlei Lösungsansätze für diese Probleme. Er lässt sämtliche Entwicklungen offen und definiert nirgendwo Orientierung gebende Leitlinien. Außer einer Anhebung des sogenannten Apothekenpackungsfixums um satte 13,8% auf 9,50 Euro, also einem absurden Nachwahlgeschenk an die Apotheker-Lobby nach dem Prinzip „Mehr Geld für nichts“, enthält dieser Koalitionsvertrag keine einzige konkrete Festlegung für die künftige Finanzierung des Gesundheitssektors. Damit soll laut Koalitionsvertrag allen Ernstes zugewartet werden, bis eine neu einzurichtende Expertenkommission im Frühjahr 2027 Vorschläge erarbeitet haben wird, getreu dem Motto für strukturelles Organisationsversagen: „Wenn du nicht mehr weiterweißt, gründe einen Arbeitskreis!“ Dabei liegen alle sinnvollen Vorschläge aufgrund der jahrelangen intensiven Vorarbeiten des „Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege“ längst auf dem Tisch.

Diese erneute Verzögerung ist umso dramatischer, als die neue Gesundheitsministerin als gesundheitspolitisch komplett unerfahrene Juristin keine eigenen Vorstellungen in die jetzt anstehende Gesetzgebungsarbeit einbringen kann. Allenfalls gewisse Organisationserfahrungen beim Technischen Hilfswerk (THW) geben Anlass zur Hoffnung, dass sie sich alsbald der überfälligen Restrukturierung der Notfallversorgung zuwendet. Daneben muss allerdings auch der Katastrophenschutz dringend reformiert werden, da die Reaktion im Katastrophenfall deutschlandweit weiter komplett dysfunktional organisiert ist, mit einer Anbindung bei den Landräten und einer nicht funktionierenden Koordination mit den bundesweit rund 380 Gesundheitsämtern.

Massiver Anstieg des Zusatzbeitrags birgt Sprengstoff

Im Vordergrund der Agenda stehen allerdings ohne Frage die massiven finanziellen Herausforderungen in der Kranken- und Pflegeversicherung. In diesem Jahr werden die gesetzlichen Krankenkassen die Rekordsumme von 340 Milliarden Euro ausgeben. Doch schon zum Jahresende 2024 betrugen die Finanzreserven der Krankenkassen nur noch rund 0,08 Monatsausgaben und entsprachen damit nicht einmal mehr der Hälfte der gesetzlich vorgesehenen Mindestreserve von 0,2 Monatsausgaben. Die neue Ministerin wird daher sehr schnell Geld für einige am finanziellen Abgrund vegetierende Kranken- und Pflegekassen auftreiben müssen, um akute Insolvenzen noch abzuwenden.

Dass eine Hauptursache für die explodierenden Ausgaben der Krankenversicherung in der ebenso irregulären wie illegalen Massenmigration nach Deutschland liegt, steht seit Jahren als Elefant im Raum bei jeder Sitzung der Bundesregierung. Allerdings ist den hochbezahlten Migrationsleugnern im Ministerrang offenbar nicht zu vermitteln, dass die menschengemachte Beitragskatastrophe eine unvermeidliche Folge des millionenfachen Zuzugs von Neubürgern ist, die sich direkt ins soziale Netz von Bürgergeld und kostenloser Krankenversorgung begeben, obwohl sie niemals auch nur einen Cent für Aufbau und Erhalt des deutschen Gesundheitssystems eingezahlt haben und oft auch gar nicht beabsichtigen, dies jemals zu tun.

Daher wird im Jahr 2026 der Krankenkassen-Zusatzbeitrag von derzeit bereits 2,5% auf mindestens 3,1% steigen, was erheblichen sozial- und wirtschaftspolitischen Sprengstoff bieten dürfte. Und in diesen Prognosen sind die mit dem wirtschaftlichen Niedergang wegbrechenden Kasseneinnahmen aufgrund der anrollenden Entlassungswelle im Mittelstand noch nicht einmal berücksichtigt.


Dr. med. Lothar Krimmel, Facharzt für Allgemeinmedizin, war von 1992 bis 2000 Geschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 22 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

22 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Juergen Schmidt
5 Tage her

Zum Beispiel mit ihrer Forderung nach einer allgemeinen Impfpflicht hat die Frau Warken während der Corona-Krise deutlich gemacht, dass sie für ein öffentliches Amt, in dem sie Verantwortung für andere Bürger trägt, charakterlich und intellektuell nicht geeignet ist.
Daher sollte davon ausgegangen werden, dass auch sie in Zukunft keine Gesundheitspolitik für die Bürger macht, sondern gegen die Bürger und im Interesse der Pharma- und Medizinindustrie.
Auch daran zeigt sich nochmal, dass wir mit den gegenwärtigen politischen Parteien ein gewaltiges Problem haben. Denn Politik für die Bürger ist von denen nicht mehr zu erwarten.

bkkopp
8 Tage her

Der Beitrag erwähnt die 380 Gesundheitsämter. Das sind die, die während Corona mit Fax-Maschinen, und auch sonstigen organisatorischen Gemütlichkeiten aufgefallen sind. Sind diese Gesundheitsämter seitdem, Bundesland für Bundesland, als Strukturen der Landesgesundheitsministerien IT- vernetzt ? Und was machen sie damit ? Welches Bundesland ist führend und eine Pilgerstätte für andere, mit Laptop und Lederhose, oder so ? Oder gibt es immer noch welche mit Fax-Maschinen als Spitze des bürotechnischen Fortschritts ? Was immer der status-quo in 2025 ist, es ist längst nicht alles “ Bundesangelegenheit“. Krankenhausplanung und -finanzierung ist auch grundgesetzlich “ Ländersache „. Welche sehr schwergewichtigen und klebrigen Probleme… Mehr

Judith Panther
8 Tage her

Komisch, wie ausgerechnet die beiden größten Batzen, für die die Beitragszahler bluten müssen, regelmäßig nicht genannt werden: Die Verwaltungen und die Korruption. Hier ein Kommentar aus 2018, meine eigenen Zahlen sind Pi mal Daumen, das Ausmaß dürfte sich seither gravierend verschlimmert haben: http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/a-806371.html vom 31.12.2011: „Verwaltungskosten im Gesundheitswesen erheblich höher als angenommen„ Es darf als sicher gelten, daß bei den Verhandlungen hinter verschlossenen Türen Korruption, Vetternwirtschaft und Selbstbedienung in bislang ungeahntem Ausmaß stattfinden und daß jährlich Milliarden und Abermilliarden im undurchdringlichen Morast zwischen Kassen, Kammern und KVen verschwinden, den trockenzulegen aus unerfindlichen Gründen bisher noch niemandem gelungen ist. Noch nicht einmal… Mehr

Last edited 8 Tage her by Judith Panther
elly
8 Tage her

Massiver Anstieg des Zusatzbeitrags birgt Sprengstoff!nicht so lange es im Lande „Boomer“; „Alte“, „Rentner“ gibt. Sie sind das Feindbild Nr. 1 im Land und genau denen wird alles in die Schuhe geschoben. Die „bösen, alten, weißen Männer & Frauen“ wehren sich auch nicht .
Wohnungsnot = die Alten sind schld, weil sie in zugroßen Wohnungen leben.
Beitragssteigerungen bei den gesetzlichen Sozialkassen = die Alten sind schuld, weil sie Renten und einen Krankvensicherung in Anspruch nehmen.
Arztmangel = die Alten sind schuld, weil sie zum Arzt gehen …
So tönt es seit Jahren

Nibelung
8 Tage her

Wer noch einiges an OP`s vor sich hat, sollte es nicht hinaus schieben, denn das kann teuer werden, mit zukünftigen Selbstbeteiligungen, denn nicht vergessen, die Beerdingungskosten waren früher auch noch ihre Sache, was man dann auf die Betroffenen übertragen hat und fast könnte man wetten, daß es auf eine Grundversorgung hinausläuft und der Rest ist dann Luxus und muß anteilig bezahlt werden. Das ist immer das gleiche, wenn ihnen nichts mehr einfällt, dann greift man von einem ehemals angedachten gemeinschaftlichen Versorgungssystem für alle, zur Menükärte im Einzelnen, nach dem Motto, was darf es denn sein und das muß man dann… Mehr

Michael V.
8 Tage her

Hier in Österreich hatten wir ebenfalls solche Totalausfälle: Anschober („Angstschober“), Mückstein („Stechmücke“) und Rauch – allesamt von den Grünen!
Zweiter Arzt, der behauptete, dass Injektionen nicht in den Blutkreislauf übergehen 🤦‍♂️

NochNicht2022
8 Tage her

„Gesundheitsplitik“ klingt ja eigentlich schon abwegig. Will wohl Regelungen rund um das Thema Gesundheit, Seuchen und deren Finanzierung und Organisation usw. gemeint sein. – Daß die Gesundheitspolitik niedrig gehängt wird, hat nicht nur mit dem Totalversagen während der Wuhan-Virus-Krise von 2020 bis 2023 zu tun, sondern vielleicht auch damit, daß das BGM – wie hier schon einmal von einem TE-Foristen vorgeschlagen wurde – aufgelöst gehört. Beschäftigt man sich mit diesem visionären Gedanken näher, so sprechen einige wichtige Punkte dafür: 1. Die 16 Bundesländer haben alle keine „Gesundheitsministerien“: Sie sind immer ein „Anhängsel“ in anderen, unterschiedlichen Landesministerien, und: Die Gesundheitsämter in… Mehr

Michael Palusch
8 Tage her

„Und der gesundheitspolitisch erfahrene Jens Spahn (CDU)…“
Ähh…?!
Der Mann war, bevor er an den Posten des Gesundheitsminister kam wie die Jungfrau zum Kind, Bankkaufmann und Parlamentarischer Staatssekretär, ein parteipolitischer Versorgungsposten, im Finanzministerium.
Von gesundheitspolitischer Erfahrung, ist für mich da weit und breit nichts zu erkennen.

Last edited 8 Tage her by Michael Palusch
rainer erich
8 Tage her

100 Tage abwarten, hieß es hier von den CDU – Fanboys, also abwarten…. Es ist hier wie noch ausgepraegter auf Achgut. Die Fachartikel der Gastautoren “ passen“ nicht zu den politischen Artikeln, sie kontrastieren regelrecht. Sie beschreiben das Elend, politisch bleibt das alles ohne jede Konsequenz bzw ewig treu bei der CDU. Die Gruende kennt man. Leider sind die einzigen politischen Freunde der Indigenen fuer Liberalkonservative zuweit “ rechts“. Das verheerende Finale ist absehbar, nicht nur bei Gesundheit und Pflege. Da hilft den treuen Anhängern der “ Schwarzen“ die uebliche Verdrängung und die Hoffnung auf das Private.

Bambu
8 Tage her

Ich habe in der Corona Zeit sehr viel über Medizin, alternative Medizin und Naturmedizin gelesen und wende heute viele dieser Erkenntnisse an. Ich bin in jedem Fall heute fitter als noch vor 10 Jahren. Regelmäßige Bewegung, eine Ernährung angepasst an die Bedürfnisse des eigenen Körpers, ausreichend Schlaf, gute Zahnpflege und möglichst wenige Medikamente und sonstige Suchtstoffe, können schon helfen einfach gesünder zu sein. Macht mehr Spaß und auf die langen Wartezeiten in Arztpraxen kann ich auch verzichten. Ich bin fest davon überzeugt, dass unser „gutes Gesundheitssystem“ auch schon viele Menschen krank gemacht hat. Ich habe selbst habe schon so einige… Mehr