In seinem neuen Buch geht Johannes Hartl auf die Suche nach einer verlorenen Kunst: sich zu fokussieren und konzentriert die notwendigen Schritte zu gehen. Praxistauglich, lebensnah und direkt vermittelt Hartl eine Schlüsselfähigkeit, um das eigene Leben in die Hand nehmen zu können.

Was ist notwendig, damit Leben gelingt? Auf diese Frage lassen sich viele Antworten geben, die innere wie äußere Faktoren betreffen, Aspekte, auf die wir keinen Einfluss haben und solche, die in unterschiedlichem Grad von uns selbst abhängen.
Letzteren widmet sich Johannes Hartl in seinem neuen Buch Die Kraft eines fokussierten Lebens. Darin identifiziert Hartl die Fähigkeit, „kleine Schritte umzusetzen und heute damit zu beginnen“, um kleine und große Ziele und am Ende die Lebensvision zu verwirklichen, als Schlüssel. Um dies tun zu können, brauchen wir ihm zufolge: Fokus.
Hartl beobachtet, dass diese Schlüsselqualifikation heute vielen Menschen fehlt und macht deutlich, welche Schwierigkeiten und wie viel vermeidbares Scheitern aus diesem Mangel resultieren. Eine zutreffende, dichte Diagnose, die knapp, aber nicht verkürzt den Finger in die Wunde legt. Hartl wäre freilich nicht Hartl, wenn ihn das Problem mehr interessieren würde als die Lösung und so begegnet er dem Thema pragmatisch und fokussiert (sic!) auf die Lösung hin orientiert.
Zerstreuung statt Fokus
Das kleine, kompakte Werk spricht genau hinein in unsere Zeit: Das Smartphone ist immer zur Hand, für grenzenlose Zerstreuung braucht es nicht einmal mehr einen Knopfdruck, ein widerstandsloses Wischen genügt: Viele eilen nur noch von Dopaminkick zu Dopaminkick, Sammlung und Konzentration sind Mangelware.
Paradox: Einerseits verharren viele Menschen gefangen im Hier und Jetzt, weil die ständige Ablenkung sie daran hindert, über den Tag, die Stunde, den nächsten Social-Media-Post hinauszublicken. Andererseits sind sie nie wirklich gegenwärtig, weil sich ihr Leben in Scheinwelten abspielt und sie abgekoppelt von sich selbst nie zu sich selbst finden.
Dieses Defizit hat einen ganzen Wirtschaftszweig hervorgebracht, der jenen, die es verlernt haben oder denen es nie beigebracht wurde, vermitteln soll, wie Leben geht: Coaching, die moderne Form des Ratgebers, ist allgegenwärtig, Online-Kurse, Präsenzseminare, und natürlich Bücher wollen uns darin schulen, gut zu leben.
Das „Potenzial-Verrottungs-Syndrom“
Obgleich die Qualität der Coachingangebote stark variiert, sind sie in ihrer Gesamtheit bitter nötig. Denn die Rat- und Sinnlosigkeit, mit der wir oftmals dem Leben gegenüberstehen, verlangt nach Antworten und Abhilfe:
Johannes Hartl bezeichnet diese Verlorenheit angesichts der Herausforderungen des Lebens als „Potenzial-Verrottungs-Syndrom“. Der Leser atmet erleichtert auf, endlich einen Begriff angeboten zu bekommen für ein Phänomen, das zwar irgendwie diffus und gestaltlos bleibt, zugleich aber handfeste und dramatische Folgen hat. Es zeigt sich darin, dass vor allem junge Menschen im wahrsten Sinne des Wortes „keinen Plan haben“ und trotz ihrer Talente, Gaben und ihres guten Willens nicht wissen, dass und wie man Leben gestalten kann, wie Beruf oder Beziehung aufgebaut werden, wie man eine Vision für sein Leben entwickelt und diese herunterbricht auf lang-, mittel- und kurzfristige Ziele, um von dieser Zielbestimmung aus, den ersten Schritt in Angriff zu nehmen.
Teilen statt Belehren
Der Theologe und Philosoph könnte zweifellos eine wort- und detailreiche Analyse vorlegen, aber Hartl will nicht seine Exzellenz unter Beweis stellen, sondern sein Wissen und seine Erfahrungen teilen.
Diese Haltung ist mit das Schönste an diesem Buch und macht es auch für Menschen, die schreiend wegrennen, oder genervt abwinken, wenn sie das Wort „Coaching“ hören, interessant.
Hartl doziert nicht, er präsentiert sich nicht als Guru, der Patentrezepte zu bieten hätte. Aber er hat viele Jahre lang Erfahrungen gesammelt und lässt den Leser nun daran teilhaben: konsequent auf Augenhöhe. Das äußert sich inhaltlich nicht zuletzt darin, dass Hartl freimütig seine eigenen Schwierigkeiten bekennt, ganz unaffektiert und in Maßen, ohne sich in den Mittelpunkt zu rücken.
Sodann wählt er eine sehr direkte Sprache, die sich mündlicher Kommunikation annähert. So gelingt es dem Autor, den Eindruck eines echten Austauschs zu erwecken: Zu Beginn bittet er den Leser, sich zu ihm gesellen zu dürfen und tatsächlich hat man nach der Lektüre das Gefühl, einen Nachmittag im vertrauensvollen Gespräch mit Hartl verbracht zu haben. Obwohl das natürlich eine Fiktion ist, sind die Zuwendung und das ehrliche Interesse am Wohlergehen des Anderen real – sie sind auf jeder Seite des Buches spürbar.
Ein geistiges Gym
Hartl vergleicht die Ausbildung und den Aufbau von Fähigkeiten, die uns helfen, unser Leben zu formen, mit dem Prozess, Muskelaufbau zu betreiben – und er bietet uns eine Art geistiges Fitnessstudio an. In den ersten drei Kapiteln wird dieser Prozess nachgezeichnet als eine Art Aufwärmen („Aktivierung“), das Training als solches („Muskelaufbau“) und Cool-Down („Zur Ruhe kommen“). Dabei wird anschauliche Problemanalyse begleitet von Impulsen, die der Leser auch sogleich aufgreifen kann: Leg das Buch jetzt aus der Hand, und nimm diese oder jene aufgeschobene Aufgabe in Angriff, bevor du weiterliest; denke jetzt darüber nach, was konkret in deinem Leben wichtig ist, und was dringend ist; frage dich jetzt, woran du arbeiten möchtest. Und weil Hartl weiß, dass bereits das freie, ungelenkte Nachdenken den einen oder anderen überfordert, wird zuweilen eine Vorauswahl zum Ankreuzen oder ein methodischer Hinweis zum konkreten Vorgehen angeboten.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass Hartl mehrfach kurz auf Einschränkungen eingeht, die mit psychischen Erkrankungen oder ähnlichem einhergehen: Das ist wichtig, weil unsere Gesellschaft teilweise unter einer Pathologisierung des Lebens leidet, die jegliche Schwierigkeit als therapiebedürftig qualifiziert. Damit aber geht zugleich eine Banalisierung einher, und es kann der Eindruck entstehen, dass man sich eben nur „mehr anstrengen“ müsse und sich „nicht so anstellen“ dürfe – Botschaften, die im Coachingbereich implizit häufig anzutreffen sind, nur eben in viel Denglisch und schöne Sätze verpackt.
Hartl kennt den Unterschied zwischen Lebenshilfe und Therapie, und den zwischen geistiger Unterversorgung und psychischer Krankheit – Unterscheidungen, die nicht selbstverständlich sind. Und während er deutlich macht, dass häufig empfundene Überlastung nicht der tatsächlichen Belastung entspricht, unterschlägt er nicht, dass es auch tatsächliche Überlastung gibt, auf die die Lösungsansätze des Buches nur ansatzweise anwendbar sind.
Dennoch gibt das Buch auch in diesem Fall sinnvolle und stärkende Hinweise. Im Verlauf der Lektüre wird mit Irrtümern und beliebten Fehlern aufgeräumt, „Feinde des Fokus“ werden entlarvt, gleich, ob sie im Innern lauern, in Form von Selbstsabotage und entmutigenden Glaubenssätzen oder uns von außen in Form von Reizen bedrängen: Smartphone, Konsum, Ablenkung durch Essen, es sind ganz handfeste Punkte, die Hartl nennt und dementsprechend handfest sind auch die Lösungsvorschläge – schon mal darüber nachgedacht, kalt zu duschen, um den Lebenszielen ein Stück näher zu kommen?
Christliches Coaching?
In all dem wird deutlich, dass Hartl junge Menschen vor Augen hat, für die sein Buch entscheidende, und – ohne Übertreibung – lebensverändernde Wirkung entfalten kann, indem es ihnen hilft, ihr Leben rechtzeitig auszurichten, in viele Fallen gar nicht erst zu tappen oder sich schnell daraus zu befreien. Dennoch sind die Inhalte für alle Altersklassen wichtig: Ältere Leser werden feststellen, dass Nach- und Neujustierung jederzeit möglich ist. Sie erhalten Impulse und Motivation, sich womöglich einer Staubschicht der Mittelmäßigkeit zu entledigen, Muster zu durchbrechen und den Ballast der Resignation abzuwerfen.
Hier finden sie sichere Methoden, um auch kleinere und größere Projekte in Angriff zu nehmen. Das Buch ist in dieser Hinsicht also auch dann hilfreich, wenn man sich nicht den ganz großen Fragen über das eigene Leben stellen will – auch wenn das Ausweichen schwieriger wird.
Bei einem allseits bekannten christlichen „Influencer“ wie Johannes Hartl stellt sich dabei unweigerlich die Frage, ob Die Kraft eines fokussierten Lebens ein christliches Buch ist.
Die Antwort ist ein klares „Jein“. Auf keinen Fall ist es nur oder auch nur vorwiegend für Christen geeignet. Man benötigt kein religiöses Wissen oder religiöse Einstellungen, um es zu verstehen und davon zu profitieren. Fromme Plattitüden oder oberflächliche Religiosität sucht man hier vergeblich.
Ein Anspruch, den viele Christen nicht zu erheben wagen, obwohl auf dem Markt der Sinnangebote jegliches andere Wissen und Scheinwissen, so absurd es teils auch anmuten mag, dargeboten wird. Somit nimmt das Buch eine Art Zwischenposition ein zwischen evangelikalen Ratgebern, die vermeinen, jegliches Problem ließe sich mit Rekurs auf Bibelverse lösen, und Werken, die christliche oder biblische Einsichten unterschlagen, und beispielsweise so tun, als sei Weisheitsliteratur eine exklusiv fernöstliche Angelegenheit.
Eine gelungene Übersetzungsleistung
Johannes Hartl nimmt sich in seinem Schaffen und Wirken auf ganz verschiedene Weise der Aufgabe an, Christentum in die heutige Zeit zu übersetzen – und das macht er nicht nur gekonnt, sondern auch mutig. Zwar möchten viele christliche Akteure den Glauben „aktualisiert“ vermitteln, zumeist kommt aber lediglich eine modernere Form von „Kirchensprech“ oder „geistlicher“ Sprache dabei heraus, die nur geringfügig weniger unverständlich ist als traditionelles Kirchenlatein.
Hartl traut sich dagegen, in ganz normaler Sprache zu sprechen und christliche Inhalte, die für jeden Menschen hilfreich sind, unter Umständen ganz anders zu formulieren, als es in einem gläubigen Umfeld üblich wäre. Zugleich wird, wo es angemessen ist, auch durchaus ein christlicher Begriff oder ein christliches Konzept erläutert – etwa, weil sie besonders treffend sind.
In Die Kraft eines fokussierten Lebens wird das Schöpfen aus dem christlichen Erfahrungsschatz vor allem zum Ende hin deutlicher: Im vierten Kapitel tritt die Beschäftigung mit dem inneren Menschen, seinen Fähigkeiten und Eigenschaften, zurück und der Mensch wird in den Kontext der Zeit gestellt: Hartl schlägt eine Verortung und Gestaltung im Jahres-, Wochen- und Tagesrhythmus vor, und nimmt hier auch Bezug auf religiöse Praktiken, die in jeder Kultur zur sinnvollen Strukturierung des Alltags beitragen.
Von dort aus kommt dann „was wirklich zählt“ in den Blick: Warum tun wir all das, warum trainieren wir unsere geistigen Muskeln, entwickeln Visionen und Ziele? Ein säkularer Coach würde sich hier womöglich mit dem Ergebnis „Erfolg“ oder „Glück“ zufriedengeben.
Nicht so Hartl: Er wartet mit einer echten Herausforderung ganz zum Schluss auf, indem er den Sinn all der Anstrengung und Fokussierung nicht im Dienst an sich selbst, nicht in der Selbstoptimierung erschöpft sieht. Hier offenbart er den Mehrwert seiner Ausführungen, die er nur aufgrund seines christlichen Erfahrungshorizonts aufschließen kann: Er identifiziert als letztendliches Ziel unserer Bemühungen die Liebe, und deren höchste und eigentliche Form: Die Hingabe.
Dass sich dieses Fazit so zwang- und mühelos, so völlig ungekünstelt aus lebenspraktischen, gut umsetzbaren Ratschlägen für ein gelingendes Leben ergibt, ist womöglich auch für einen gläubigen Leser überraschend.
Die Lektüre von Die Kraft eines fokussierten Lebens ist bisweilen auch mit Anstrengung verbunden. Aber wer die Anfangsenergie aufbringt, das Buch aufzuschlagen, wird mit einer praxistauglichen, kurzweiligen Handreichung für ein gelingendes Leben belohnt: konzentriert und auf das Wesentliche fokussiert.
Johannes Hartl, Die Kraft eines fokussierten Lebens. Herder Verlag, Hardcover mit Überzug, 144 Seiten, 16,00 €
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Sorry, aber Johannes Hartl redet in spiritueller Hinsicht einen Haufen Müll.